Wer war/ist Line Renaud ? - CDs, Vinyl LPs, DVD und mehr

Line Renaud

C'est la vie

Freunde des französischen Films kennen Line Renaud aus Komödien wie 'Gauner gegen Gauner' oder 'Meine schöne Schwiegermutter', in denen sie mit Philippe Noiret und Jean-Claude Brialy oder Catherine Deneuve und Stéphane Audran vor der Kamera stand. Ein großer internationaler Kassenerfolg wurde 'Willkommen bei den Sch’tis', in dem die 80jährige im Jahr 2008 Antoines dominante Mutter spielte. Wer schon in den 50er Jahren ins Kino ging, konnte Line Renaud sogar in dem deutschen Film '1000 Sterne leuchten' erleben, der 50 Jahre vor den 'Sch’tis' entstanden war. Dieser Revue-Streifen mit den damals typischen Irrungen und Verwirrungen war auch die Initialzündung für ihr Gastspiel in der deutschen Musikwelt, das sich über fünf Jahre hinzog. Mitspieler in dem Schlagerfilmchen waren die Hitlieferanten Ralf Bendix und Chris Howland, die vom Kölner Hans Bertram für die Electrola produziert wurden. Zeitgleich mit den Dreharbeiten holte er auch die Französin Renaud ins Aufnahmestudio. Für Bertram hatte sie schon zuvor Stundenlang, tagelang, wochenlang gesungen, jetzt bekam sie die Chance, C'est la vie in deutschen Kinos zu präsentieren.

Die Verbindung zur Kölner Electrola ergab sich, weil Line Renaud bei der Pariser Schwesterfirma Pathé unter Vertrag stand. Sie hatte dort sogar schon einmal einen Versuch mit den deutschen Titeln Der keine Dompfaff und Zeig mir den Weg zurück ins Heimatland gemacht. Das war 1953. Damals konnte man in Erinnerung an Johann Strauss' 'Zigeunerbaron' ('Der Dompfaff, der hat uns getraut') noch den Gimpel aus der Linde von Liebe zwitschern lassen. Auch waren Lebensweisheiten wie "Jugend und Mai vergehn, aber die wahre Liebe bleibt immer bestehn" im Schlager an der Tagesordnung. Line Renaud kämpfte sich durch die fremde Sprache, was beim französischen Weglassen des H zu unfreiwilliger Komik führte: "Wenn sich die (H)erzen finden". Ernst gemeint ist der Titel Zeig mir den Weg zurück ins Heimatland. Solche Heimatlieder hatten Hochkonjunktur in einer Zeit, in der die vielen Flüchtlinge und Heimatvertriebenen in der Bundesrepublik ihrem verlorenen Geburtsland nachtrauerten. Die begleitende Orgel unterstreicht, wie Line Renaud ihre 'Sehnsucht' besingt und wie sie sich durch die 'Einsamkeit' quält.

Daß sie fünf Jahre später ihre Heimat verließ und die Reise an den Rhein machte, war ein gutes Jahrzehnt nach dem Krieg nicht gerade selbstverständlich. Zwar hatten sich Charles de Gaulle und Konrad Adenauer 1958 versöhnend die Hände geschüttelt, aber die Wunden waren in Frankreich längst nicht verheilt. Line Renauds Jugend in Französisch-Flandern war vom Schrecken des deutschen Überfalls überschattet worden. Geboren am 2. Juli 1928, wuchs sie als Jacqueline Enté in Pont-de-Nieppe in der Nähe von Dünkirchen auf. Schon während des Ersten Weltkrieges war der Ort Schauplatz von Kämpfen zwischen englischen und deutschen Truppen gewesen, deren Ausgang auf dem Soldatenfriedhof dort besichtigt werden kann. Im September 1944 schlugen Kämpfer der französischen Befreiungsfront FFI (Forces françaises de l'interieur) deutsche Soldaten in die Flucht, die die Eisenbahnbrücke von Pont-de-Nieppe auf der Strecke Lille-Dünkirchen in die Luft sprengen wollten. Wiederholte Versuche deutscher Truppen, die Brücke zurückzuerobern, schlugen fehl, viele deutsche Soldaten wurden gefangen genommen. Die Rache war schrecklich: Eine Gruppe der SS, die in Nieppe stationiert war, befreite die Gefangenen, erschoß französische Gefangene und exekutierte am nächsten Tag 18 männliche Dorfbewohner. Dann sprengten sie die Brücke, zwei Tage bevor die ersten englischen Truppen Pont-de-Nieppe erreichten.

Im Jahr 2008 kehrte Line Renaud in ihr Heimatdorf zurück und erinnerte bei ihrem Besuch an das Grauen des Krieges. Ängstlich hatte sie damals am Straßenrand gestanden, um zu sehen, ob ihr Vater dabei war, als die Deutschen französische Gefangene durch das Dorf trieben. Und sie hatte mit den anderen gejubelt, als die Engländer den Ort befreiten. Doch anders als die gleichaltrige Juliette Greco, die damals durch ihre Mutter und Schwester in die Résistance geriet, war Jacqueline durch die Anwesenheit der FFI nicht politisiert worden. Der Vergleich der unterschiedlichen Lebenswege der beiden 'Vedettes', die beide 1958/59 zum ersten Mal deutschen Boden betraten, kann zur Charakterisierung Line Renauds hilfreich sein. Juliette Greco, die von der Gestapo verhaftet worden war und deren Mutter und Schwester in das KZ Ravensbrück verschleppt wurden, verschlug es nach dem Krieg in den Bannkreis von Existenzialisten wie Jean-Paul Sartre, der auch Chanson-Texte für sie schrieb. Als 'Muse von Saint-Germain-des-Prés' wurde sie – schwarzhaarig, schwarz gekleidet – zum Liebling der Intellektuellen. Line Renauds Weg führte zunächst nach Lille. Dort bewarb sie sich mit Chansons des Erfolgskomponisten Louis 'Loulou' Gasté am Konservatorium und wurde prompt von Radio Lille unter dem Pseudonym Jacqueline Ray als Sängerin engagiert. Erst später, an der Seite von Gasté, der als Gitarrist und Banjo-Spieler schon Josephine Baker begleitet hatte, entwickelte sich die Blondine in Paris zum Revue-Star mit Bodystocking und Federboa. Aber der Reihe nach.

Die Liebe zur Musik hatte sie vom Vater geerbt, einem Lastwagenfahrer, der in seiner Freizeit Trompete spielte. Die Mutter, eine Stenotypistin, wollte gern, daß ihre Tochter einmal Lehrerin werden würde. Aber schon mit sieben machte Jacqueline den ersten Schritt in eine andere Richtung, als sie an einem Gesangswettbewerb teilnahm. Und während des Krieges sang sie im Café ihrer Großmutter in Armentières vor französischen und alliierten Soldaten, die dort einquartiert waren. Als Jacqueline Ray stützte sie sich in Lille vollständig auf das Repertoire Gastés, das ihr ja die Anstellung beim Radio eingebracht hatte. Bei Kriegsende beschloß sie, sich nach Paris auf die größere Bühne zu wagen. Erste Station: die Musikhalle 'Folies Belleville'. Im September 1945 begegnete sie erstmals Louis Gasté – er war 37, sie 16 Jahre alt. Der berühmte Komponist, der als Jazzer mit Django Reinhardt aufgetreten war, entdeckte in ihr eine Eliza Doolittle, die er – wie in George Bernard Shaws 'Pygmalion' – in der Rolle des Professor Higgins von der Provinzsängerin zum Großstadtstar verwandeln könnte.

Die Veränderungen waren radikal: Angefangen beim Namen – der Vorname wurde verkürzt, der Nachname durch den ihrer Großmutter ersetzt –, über die Frisur, die Kleidung, das Auftreten bis hin zum Gesangsstil. Sendungen bei Radio Luxembourg machten ihren Namen landesweit populär und brachten ihr einen Plattenvertrag bei Pathé ein. Die Aufnahme von Ma Cabane au Canada, eine Gasté-Komposition aus dem Jahr 1948, trug ihr den 'Grand Prix du Disque' ein. Weitere Stationen: das 'Théâtre de l'A.B.C.' und das 'Moulin Rouge' sowie erste Filmrollen. 1954 war Line, inzwischen Madame Gasté, die Hauptattraktion des 'Moulin Rouge'. Dort war eines Abends Bob Hope zu Gast. Er ermöglichte ihr den nächsten Karriereschritt. Statt der geplanten vier Tage wurde sie vier Monate in den Staaten beschäftigt. Neben Gastauftritten in seiner US-Fernseh-Show bekam sie Angebote vom New Yorker Waldorf Astoria und dem 'Cocoanut Grove' in Los Angeles. Amerika hatte damals ein Faible für französische Revuen. Und Las Vegas konnte immer Nachschub gebrauchen. Dean Martin erkannte die Chance, seine Fan-Gemeinde in Frankreich zu vergrößern und nahm mit ihr am 27. April 1955 in Hollywoods Capitol Recording Studio die Songs Relax-Ay-Voo (in korrektem Französisch 'Relaxez-vous', zu Deutsch 'Entspannen Sie sich') und Two Sleepy People auf. Beim Capitol-Label versuchte sie im Gegenzug, mit englischen Fassungen von Gasté-Kompositionen Amerika zu erobern.

In der Folge lebte Line Renaud auf zwei Kontinenten und später – wie sie in ihrer Autobiographie 'Et mes secrets aussi' bekannte – mit zwei Männern. In Las Vegas lernte sie 1965 Nate Jacobson, den späteren Direktor des 'Caesar's Palace', kennen und lieben. Mit ihm und Louis Gasté blieb sie bis zu deren Tod zusammen. Auch ihr Show-Leben – auf der Bühne und im Fernsehen – spielte sich von da an sowohl in Frankreich als auch in den USA ab. Revuen im 'Dunes' und Revuen im 'Casino de Paris' gehören zu den Glanzlichtern. Ihre Gesangspartner reichten von Johnny Mathis bis zu Nana Mouskouri.

Louis Gasté, dessen berühmteste Komposition Feelings von Weltstars wie Elvis Presley, Frank Sinatra und Sarah Vaughan aufgenommen wurde, starb 1995. Im Jahr 2002 widmete Renaud ihm das Buch 'Loulou, envoie-moi un arc-en-ciel' ('Loulou, schick mir einen Regenbogen'), in dem sie beteuerte, daß Gasté ihr Zeichen aus dem Jenseits schicke. Das war ganz im Einklang mit der Traumwelt, die sie auf der Bühne inszenierte. Zu ihrem öffentlichen Auftritt gehörte ja die Pose, die große Geste.

Anders als von Juliette Greco, die trotz ihrer Vorbehalte immer wieder in deutschen Großstädten ihre Chansons vortrug, sind Tourneen von Line Renaud durch Deutschland nicht bekannt. Zunächst schien man sie bei der Electrola in Köln auch nicht richtig einordnen zu können. Es begann gerade die Zeit, als in der Bundesrepublik alle internationalen Stars, die nicht wegliefen, von hiesigen Produzenten auf Deutsch verheizt wurden – von Louis Armstrong bis Frank Zappa. Line Renaud bekam von Hans Bertram im Juni 1958 Margie Rayburns Top-10-Hit I'm Available aus dem Vorjahr vorgelegt. Das Arrangement entsprach dem Original. An eine französische Vorlage hatte man offensichtlich nicht gedacht, sondern lieber auf die Popularität amerikanischer Pop-Musik gesetzt. Wo Line Renaud auf dem deutschen Markt eingeordnet werden sollte, war klar: Die Klangfarbe ihrer Stimme lag zwischen Lys Assia, Bibi Johns und Caterina Valente. Die Playbacks waren bereits aufgenommen, als Line Renaud ins Studio kam. Die Sprache schien ihr keine Probleme mehr zu bereiten, ein Akzent ist allerdings immer mal phasenweise hörbar. Ob sie den Text von Ralph Maria Siegel verstand, als sie Stundenlang, tagelang, wochenlang sang, ist fraglich: Ich möchte immer verliebt dir in die Augen sehn. Mit Siegel hatte Bertram einen bewährten Autor der älteren Generation eingesetzt. Auch die Rückseite Mein Traum bist du (Ich bin so verliebt in dich) – im Original Lights Out, verfasst von Billy Hill in den 30er Jahren (in einer Originalfassung aus 1948 von Spade Cooley) – passte sich nahtlos in die Schlagerwelt der 50er Jahre ein, stach daraus aber auch nicht hervor.

Für die nächsten Veröffentlichungen der Electrola waren die Playbacks zu den Dreharbeiten von '1000 Sterne leuchten' fertig...

Auszug aus Line Renaud C'est la vie
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