Wer war/ist Hans Scheibner ? - CDs, Vinyl LPs, DVD und mehr

Hans Scheibner

"Ein Englein kam zu Gott, dem Herrn / und rang vor Schreck nach Luft: / Die Erde, Herr, dein schöner Stern / hat sich grad selbst verpufft / Da lächelte Gott: Ach, mein Kleiner: / Das macht doch nichts, das merkt doch keiner!" (aus: Das macht doch nichts, das merkt doch keiner)

Erst als 30jähriger tauchte Hans Scheibner in der Hamburger Kleinkunstszene auf, wo der gelernte Verlagskaufmann und Redakteur zunächst mit seinen 'lästerlyrischen' Gedichten auf der Kleinkunstbühne 'Die Wendeltreppe' auftrat. Der 1936 in Hamburg geborene Künstler gehört zum sogenannten "satirischen Urgestein" ('FAZ') im Land. Im Unterschied zu Kabarettistenkollegen wie Dieter Hildebrandt, ähnlich aber wie Hanns Dieter Hüsch in seiner frühen Phase, ist Hans Scheibner auch Liedermacher und Songschreiber. So schrieb er 1976 den Text für Nico Haaks Top-10-Hit Schmidtchen Schleicher. Bereits zwei Jahre zuvor hatte er einen ersten Erfolgstitel gelandet: Für Meyers Dampfkapelle schrieb er den Text von Ich mag so gern am Fließband stehn. Und er sang den Titel auch auf der Platte der Gruppe. Nach dem Erfolg dieses Stücks erhielt Scheibner einen eigenen Plattenvertrag und produzierte in schneller Folge eine Reihe von Alben. Der Titelsong seiner dritten LP 'Was in Achterndiek in der Nacht geschieht' wurde in Brokdorf zur Hymne der Antikernkraftbewegung – und das erste Scheibner-Werk, das die Obrigkeit verbieten wollte. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Gerhard Stoltenberg ließ das mittlerweile zum Klassiker gewordene Lied auf den Index des Hörfunks setzen.

Zensur erlebte der Hamburger in der Folgezeit noch öfter. Als er im November 1985 seine Ballade von Lysistrata live in einer NDR-Talkshow anläßlich des 30jährigen Bestehens der Bundeswehr sang, kam es zum Eklat. Auf eine entsprechende Frage von Bundesverteidigungsminister Manfred Wörner bezeichnete Hans Scheibner – frei nach Tucholsky – jene als Mörder, die für den Kalten Krieg mit Massenvernichtungswaffen verantwortlich seien. Das bedeutete – auf Betreiben des damaligen NDR-Intendanten Friedrich Wilhelm Räuker – erst einmal das Aus für seine Fernsehshow '… scheibnerweise'. Und in Folge trennte sich auch das 'Hamburger Abendblatt', das ihn 1978 geholt hatte, damit er satirische Kolumnen schreibe, von seinem Autor: "Scheibner hat unsere Bundeswehr-Soldaten Mörder genannt. Damit ist er für diese Zeitung nicht mehr tragbar." Dieses Schicksal widerfuhr ihm nur sieben Jahre später erneut bei der 'Hamburger Morgenpost'. Nach einem satirischen Text über die seltsame Blindheit mancher Polizisten oder deren Vorgesetzten auf dem politisch rechten Auge – während sie auf linksgerichtete Demonstranten gern mal brutal einschlagen würden, ließen sie Neonazis unbehelligt demonstrieren – wurde Scheibner gefeuert.

Trotz der Skandale und Proteste, die es wegen seiner Texte immer wieder gegeben hat, sieht sich Hans Scheibner selbst gar nicht in erster Linie als politischer Satiriker, sondern mehr als Autor "liebevoller Beobachtungen aus dem absurden Alltag". Was ihn jedoch nie davon abhielt, deutliche Worte für seine Themen zu finden. "Er tritt lustvoll in jedes Fettnäpfchen, wo es ihm vor die Füße kommt", schrieb der Regisseur und Produzent Volker Kühn über Scheibner. "Der Papst, das Militär, staatliche Allmacht und rückgratloser Opportunismus, linke Karrierejünger und rechtsgesinnte Kameradschaften – niemand ist vor ihm sicher." Auch Hannes Wader nicht, möchte man ergänzen mit Blick auf das hier vertretene Lied, das Scheibner für seine 1977 erschienene LP 'Neue Lästerlieder' schrieb – "über einen Freund, den ich nach wie vor für den besten Liedermacher halte". Dies ist die Entstehungsgeschichte von Hannes Wacker, der Sänger mit den Arbeiterliedern:

"Wir saßen zusammen im Onkel Pö und Hannes sagte mir stolz: 'Also, ich bin jetzt in die KPD eingetreten, ich bin Kommunist.'
Ich gratulierte ihm dazu: 'Das finde ich einen mutigen Schritt, Hannes', sagte ich. 'Mein Vater war Arbeiter und Sozialdemokrat, aber das genügte auch schon für einige schwere Ohrfeigen, die er aushalten mußte. Der Onkel meiner Frau und dessen Vater waren Kommunisten. Der Onkel ist dafür ins KZ gegangen, man hat nie wieder etwas von ihm gehört. Ich kann nur den Hut ziehen vor Menschen, die sich einem absoluten Ziel widmen. Wirst du jetzt dein Vermögen der Partei zur Verfügung stellen?'
'Nee', sagte Hannes, 'wie kommst du denn darauf?'
Ich sagte: 'Ich denke, Kommunismus, Marxismus ist nicht irgendein Parteiprogramm, sondern eine Mission, eine Frage der Existenz. Marx und Lenin gehen doch davon aus, daß der Kampf der Arbeiterklasse erst späteren Generationen zum Sieg verhelfen wird – und bis dahin muß alles geopfert werden für den Kampf. Auch wenn es Blutvergießen geben wird, ist das nötig für das große Ziel der Menschheit – die Gleichheit aller. Da kann man nicht noch ein Leben mit Privatbesitz nebenbei führen – in dem Punkt ist Kommunismus etwas wie eine religiöse Lehre: entweder man widmet sich ihr ganz oder gar nicht. Das ist der Grund, weshalb ich es nie über mich gebracht habe – dazu bin ich zu egoistisch.'
Hannes sah mich nur an und dachte wahrscheinlich: 'Der spinnt, der Scheibner.' Ich bin aber heute noch dieser Ansicht. Kommunist kann man nicht werden wie man SPD- oder FDP-Mitglied wird. Das ist eine existentielle Entscheidung.
Die Veröffentlichung des Liedes hatte damals üble Folgen für mich. Ich wurde von der intellektuellen Szene und natürlich von den Hannes-Wader-Fans angegriffen und geschnitten. O-Ton Henning Venske: 'Auf Scheibner müßt ihr aufpassen, der ist gefährlich.' Das war so 1979/80, wo es auch im Westen vor allem unter Intellektuellen und Liedermachern unerläßlich war, den Marxismus für die große Menschheitserlösung zu halten – Marcuse und Bloch ('Das Prinzip Hoffnung') waren seine Propheten. Was z. B. Stalin alles angerichtet hatte, wurde schlichtweg übersehen oder bagatellisiert. Ich lehne den Marxismus ab – nicht weil ich kapitalistisch denke (ich habe genug Anfeindungen auch von dieser Seite erlebt und weiß, daß wir ohne den Marxismus wahrscheinlich wieder auf eine 'imperialistische' Situation zusteuern) – die Gegenkraft kann aber niemals eine 'unanfechtbare Lehre' sein, die auch wieder nur zur Diktatur führen kann."

'Die Lieder' heißt eine 2004 erschienene Werkschau mit 57 Scheibner-Titeln auf vier CDs.

www.hansscheibner.de


Auszug aus
Various - Liedermacher in Deutschland
Vol.2, Für wen wir singen (3-CD)
/various-liedermacher-in-deutschland-vol.2-fuer-wen-wir-singen-3-cd.html

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