Chuck Berry – Rock And Roll Music – Any Old Way You Choose It – Süddeutsche Zeitung vom 18.11.2014

SZ 18.11. - Chuck berry
Süddeutsche Zeitung vom 18.11.2014
Der Ruhm in der Popmusik ist ein launischer Komplize. Bei manchen bleibt er zu Recht nur 15 Minuten, bei anderen, die ihn viel eher verdienten, zeigt er sich gar nicht, und einigen wenigen ist er ein Leben lang treu. Manchmal sogar noch darüber hinaus. Nichts ist im Pop schließlich so gut für die Unsterblichkeit wie ein früher Tod. Aber das sind die einfachen Fälle. Komplizierter wird es, wenn der Ruhm so groß wird, dass er sich verselbstständigt und so übermenschliche Dimensionen annimmt, dass der Künstler von seinem eigenen Ruhm lebendig begraben wird.
Mit anderen Worten: Selbst in popaffineren Runden, kann man heute mit der Frage, ob eigentlich Chuck Berry noch lebe, für einige Verblüffung sorgen. Natürlich nicht mehr. Längst gestorben. Oder nicht? NEIN! Chuck Berry lebt. Er ist Jahrgang 1926 und damit bloß ein bisschen älter als, sagen wir, Jürgen Habermas. Seine großen Hits „Maybelline“, „Rock And Roll Music“, „Sweet Little Sixteen“, „Roll Over Beethoven“, „No Particular Place To Go“, „Too Much Monkey Business” oder „Johnny B. Goode” sind natürlich allesamt mindestens 50, manche sogar 60 Jahre alt, was wiederum in der Popmusik ziemlich genau eine Ewigkeit ist. Der Rock `n` Roll selbst ist ja kaum älter. Andererseits kann man sich manch böseren Fluch vorstellen, als zu Lebzeiten als einer der toten Urväter der Pop-Musik zu gelten und die Ehrfurcht der allergrößten Stars noch selbst zu erleben. Berry hatte den Rock`n`Roll als Kombination aus Blues, Boogie Woogie und Country zwar nicht erfunden, aber so interpretiert, dass er sowohl für die Beatles, als auch für die Rolling Stones zum wichtigsten Einfluss wurde. Keith Richards war sich nie zu fein zuzugeben, dass er jedes Gitarren-Lick geklaut habe, das Chuck Berry je gespielt habe. John Lennon sagte: „Wollte man dem Rock`n`Roll einen anderen Namen geben, könnte man ihn auch Chuck Berry nennen.“
Und das Vorwort der nun erscheinenden großen neuen Werkausgabe „Chuck Berry – Rock And Roll Music Any Old Way You Choose It – The Complete Studio Recordings (Bear Family) hat Paul McCartney geschrieben: „Chuck Berry ist einer der größten Dichter, die Amerika je hervorgebracht hat. Seine Songs erwischten uns wie ein Blitz. Als wir sie zum ersten Mal hörten, gab es nichts, was für uns das Gefühl, jung und frei zu sein, so witzig und klug auf den Punkt brachte wie seine Songs.“ So ist das. Die absurde Opulenz dieses in schwarzen Leinen gebundenen Box-Sets, das nicht nur aus 16 CDs besteht mit hunderten von Studio- und Konzert-Aufnahmen zwischen 1955 und 1974, sondern auch aus einem 100-seitigen Bildband und einem 250-seitigen Essay-Band samt minutiöser Discografie – diese Opulenz ist also eigentlich nur das Mindeste was man für Chuck Berry tun kann, der übrigens noch immer einmal in der Woche in einem Club in St. Louis auftritt, obwohl er dort vermutlich nicht mehr einen ganz so majestätischen Eindruck macht wie diese Werkausgabe.
bcd17273a_720x600Der Eindruck allerdings, den die Frische, der Schwung und die Präsenz von Berrys Texten, Gesang und Gitarrenspiel auf den alten Aufnahmen noch heute auf den Hörer machen, ist so gewaltig, dass man meint, sogar ein bisschen nachvollziehen zu können, was diese Musik damals für Richards, Lennon und McCartney bedeutet haben muss. Beethoven überrollen? Ja, natürlich, sofort!
http://www.bear-family.de/berry-chuck-rock-and-roll-music-any-old-way-you-choose-it-the-complete-studio-recordings-…-plus-16-cd/2-.html

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