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GALILEO
Ein Weltstar stößt zum Brecht-Team
Von Jürgen Schebera
Man schrieb Ende März 1944, als es im Salon von
Salka und Berthold Viertel in Santa Monica zu einer folgen-
reichen Begegnung kam. Bertolt Brecht und Hanns Eisler,
seit Juni 1941 bzw. April 1942 in Kalifornien lebend, waren
regelmäßige Gäste im Haus der Viertels, einem bevor-
zugten Treffpunkt der deutsch-österreichischen Emi-
grantenkolonie. An besagtem Märzabend nun präsentierte
die Gastgeberin mit dem britischen Schauspieler Charles
Laughton einen „Stargast“ der allerersten Kategorie.
Natürlich kam er auch ins Gespräch mit Brecht und Eisler.
Beide hatten 1936 in London den Film ,The Private Life Of
Henry VIII / Das Privatleben Heinrichs VIII.’ gesehen –
Laughtons Start in den Weltruhm. (Wie nachhaltig der Ein-
druck war, zeigte sich noch Jahre später, als Brecht der
englischen Fassung seiner Szenenfolge ,Furcht und Elend
des dritten Reiches’ 1943 den Titel ,The Private Life Of The
Master Race’ gab.) Als der Stückeschreiber besonders eine
Szene hervorhob, in der Laughton als König ein Huhn mehr
gefressen denn gegessen habe, zeigte sich der Schau-
spieler entzückt, das Eis war sofort gebrochen, man sollte
sich rasch näher kommen.
Brecht erschien genau zum richtigen Zeitpunkt im
Leben Laughtons. Dieser hatte fast ein Jahrzehnt nicht
mehr Theater gespielt, was er sehr bedauerte, und zeigte
sich von Anfang an interessiert an der dramatischen Pro-
duktion des Emigranten. Der wiederum bewunderte den
großen Schauspieler – und stellte sehr bald Affinitäten zu
seinem Bühnenkonzept fest:
„Gefragt, warum er Theater
spiele, antwortete L.: ,Weil die Leute nicht wissen, wie sie
sind, ich aber glaube, es ihnen zeigen zu können.’“
Laughton liebte es, vor einem kleinen oder größeren
Kreis von Zuhörern vorzulesen. Schon wenige Wochen nach
der geschilderten Begegnung tat er das auch in seinem
üppigen Villenanwesen in Pacific Palisades wie in Brechts
bescheidenem Haus in Santa Monica. Unter dem 29. April
1944 heißt es in Brechts Journal:
„Er liest bei uns [Shake-
speares] ,Measure For Measure’ und bei sich ,The Tempest’
vor, er hockt, vor einer herrlichen Standuhr in bayerischem
Barock, auf einem weißen Sofa, mit gekreuzten Beinen, so
daß nur sein buddhaähnlicher Bauch sichtbar ist, und liest
aus einem kleinen Büchlein das Stück, teils wie ein Scholar,
teils wie ein Schauspieler, lachend über die jokes, sich hie
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