Background Image
Previous Page  10 / 19 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 10 / 19 Next Page
Page Background

8

andersartig, daß man es schwerlich in die bisher als gültig an-

genommenen Vorstellungen von Kultur einordnen konnte.

Das macht das LONDON-Label heute zum wertvollen Doku-

ment eines Umbruchs in der hiesigen Rezeption von Unterhal-

tungsmusik. Während Mitte der 50er Jahre die technische

Modernisierung in der Schallplattenindustrie mit dem Aufkom-

men der Single beschleunigt wurde, stießen die LONDON-Auf-

nahmen zeitgleich die Modernisierung der bisher in Deutschland

üblichen U-Musik-Standards an. Beide Innovationen, die das Ge-

schäft mit der Musik veränderten, hatten amerikanischen Ur-

sprung. In der Zielgruppe der jugendlichen Plattenkäufer ging

das mit einer allmählichen Amerikanisierung einher, die heute

als selbstverständlich angesehen wird, damals von der älteren

Generation aber abgelehnt wurde. Diese Schallplatten hatten in

der Nachkriegszeit auf Jugendliche eine ähnlich emotionale Wir-

kung wie die neuen Kinofilme aus Hollywood oder die damals

noch halbwegs informative Zeitschrift 'Bravo'. Daher ist das

LONDON-Label unter dem Aspekt des amerikanischen Musik-

imports eine wesentliche historische Quelle für die Jugendkultur

der 50er und 60er Jahre. Denn die schwarzen Scheiben transpor-

tierten und erweckten ein Lebensgefühl der Modernität und der

Avantgarde-Zugehörigkeit, das im Mief der Adenauerjahre be-

freiend wirkte.

Auf die Inhalte der Lizenz-Aufnahmen hatte die T

ELDEC

, sieht

man einmal von den wenigen deutschen Aufnahmen ab, keinen

Einfluß. Die Firma akzeptierte das von D

ECCA

vorsortierte Ange-

bot aus USA schließlich als Kontrastprogramm zu den hauseige-

nen D

ECCA

- oder T

ELEFUNKEN

-Produktionen. Die zuständigen

Angestellten schrieben Liner Notes für EPs und LPs und senkten

immer mal den Daumen, wenn ihnen eine Platte zu schräg für

den deutschen Markt erschien. Auch weil seine Existenz in

Deutschland an die Existenz der Firma T

ELDEC

gekoppelt war,

blieb LONDON als Konglomerat amerikanischer Popmusik ein

überschaubares Label. Parallel zur Entwicklung auf dem Pop-

markt erlebte es ein ständiges Auf und Ab. Schließlich zog der

zunehmende Bedeutungsverlust der Single auch die Verkaufs-

zahlen der LONDON-Platten nach unten. Ihre historische Funk-

tion hatten sie da längst erfüllt: Eine Generation lang hatte das

Label dafür gesorgt, daß die Akzeptanz einer Musik, die vor 1945

als nicht 'arisch' galt, zur Normalität werden konnte.

Single-Fertigung im T

ELDEC

-Preßwerk in Nortorf.