Wer war/ist PVC ? - CDs, Vinyl LPs, DVD und mehr

PVC

Jürgen Dobroszczyk (dr)
Raymond 'S. Gommorah' Ebert (g, voc)
Gerrit Meijer (g, voc)
Knut Schaller (b, voc)

"KunststoffisteinStückunserermodernenUmwelt. Er hat eine interessante Oberfläche, ist strapazierfähig und hält vor allem dem Durch- gangsverkehr internationaler Flughäfen stand" (Schaller), so wurde der außergewöhnlich-griffige Name von einer der ersten deutschen Punkbands in West-Berlin erklärt. Mit dem von ihnen erfundenen Begriff "Wall City Rock" prägten sie die Genre- Bezeichnung der Berliner Rock- und Punk-Szene der späten 70er. Raymond Ebert und Knut Schaller lernten sich am 25. Februar 1977 während des Konzerts von The Vi- brators im Berliner Kant-Kino kennen. Das war lange bevor die deutschen Massenmedien den Begriff Punk entdeckten.

Mitgründer Schaller bezog seine Erkenntnisse auch nicht aus den trägen Berliner Medien. "Irgendwie lag das in der Luft. Nach dem ganzen Stillstand Mitte der 70er brauchte es nur eines Auslösers, um etwas Neues freizusetzen. Mein 'Aha-Erlebnis' war ein Foto, auf dem eine Party mit den Sex Pistols zu sehen war. Johnny Rotten trug ein T-Shirt mit dem Aufdruck nackter Brüste und außerdem lag da ir- gendwie eine halbausgezogene Frau auf einem Tisch. Das sah brutal, schmutzig und chaotisch aus" (Schaller). 1976, als die Ramones gerade ihr Debüt veröffentlicht hatten, fand er jedoch keine Mitmusiker, die sich für diese Musikrichtung in- teressierten. Also gab er eine Annonce auf: "Suche Musiker, die Punk-Musik machen wollen". Sein Frust war groß, als sich herausstellte, daß alle Interessierten an einen Druckfehler geglaubt hatten und stattdessen Funk-Musik gelesen hatten.

Schaller, gelernter Schneider, betrieb in der Berliner Lützowstraße eine recht erfolgreiche Pullovermanufaktur. Mit den Jahren hatte er es als Modedesigner zu beträchtlichem Ansehen gebracht. Schallers Frust änderte sich schlagartig als die englischen Vibrators für das erste Punkkonzert in der Stadt kamen. Im damaligen Live-Musik-Szene-Treff Kant Kino traf er plötzlich auf lauter Gleichgesinnte. Einer war der 15-jährige Raymond Ebert. Der hatte die Vibrators im Radio gehört und wollte sich das Live anschauen. Schaller und Ebert waren sich über die musikalische Richtung sofort einig. Zwei Wochen später wurde Gerrit Meijer als zweiter Gitarrist rekrutiert und die Band begann mit verschiedenen Schlagzeugern zu proben. 84| Die musikalischen Einflüsse waren bei Bands wie The Damned, The Vibrators und den Ramones klar einzuordnen. "Im Februar 1976 stieß ich beim Lesen des 'New Musical Express' auf einen Artikel über die New Yorker Szene, ... Auch die Ramones wurden erwähnt, und deren Konzept erschien mir als eines der obskursten, von denen ich je gehört hatte: Zwei- Minuten-Songs, keine Soli, 20-Minuten-Auftritte.

Das Konzeptelement 'keine Soli' kam meinem eigenen handwerklichen Können doch sehr entgegen, und so stürzte ich mich – ermutigt durch diese neuen Aspekte – sofort auf meine ersten Kom- positionsversuche" (Meijer). Mit dem 1962 aus Hannover zugezogenen Jürgen Dobroszczyk war die Urbesetzung komplett. Ihren offiziellen Debütauftritt absolvierte das Quartett in ihrem Probenraum, unter Schallers Modeatelier, im März 1977 vor ca. 150 Leuten, die nur durch Mundpropaganda zusammengekommen waren, nachdem sie schon 1976 im Punk-House testweise live aufgetreten waren. Aus den anfänglichen 150 Besuchern wurde sehr schnell sehr viel mehr, denn PVC stand mittendrin in dieser sich ausbrei- tenden Jugendbewegung. PVC wurde im Laufe des Jahres rasch in Berlin bekannt. Sie erhielten im August die Gelegenheit unter dem Titel 'Ein Hauch von Punk' zu einer einstündigen Sendung bei Barry Graves im Berliner Rundfunksender RIAS. Im September spielten sie als Vorgruppe der Vibrators, im September bei Iggy Pop und im Dezember bei Big Balls And The Great White Idiot.

Zu dieser Zeit entstand auch das Bild der Musiker an der Berliner Mauer mit den drei Buch- staben im Hintergrund, die für die Berliner Punk-Anhän- ger zeitgleich Revolution und radikale Gesellschaftskritik bedeuteten. Nach dem PVC-Debüt-Konzert im Übungs- raum machte die Band durch weitere spektakuläre Ak- tionen auf sich aufmerksam. Neben einer nächtlichen Spray-Tour, bei der die drei Buchstaben auf Wände, Zäune und auf die Berliner Mauer gesprüht wurden, gab es ein (nicht ganz legales) Open Air-Konzert auf dem ReichsbahngeländeandenYorkbrücken,eine'WallCity-Rocknacht' (mit Bel Ami, später in der Szene-Discothek Punk-House (Werbung: "Mach dir ein paar miese Stun- den"), und als Mitinitiatoren spielten sie beim Eröff- nungskonzert des SO 36. Es folgte am 12./13.August 1977 das 'Mauerfestival – zwei schräge Nächte in Süd- Ost' (zum ironischen Gedenken an den Bau der Berliner Mauer am 13. August 1961), u.a. mit Charley's Girls, die sich vor ihrem Gig noch in Mittagspause umbenannten, S.Y.P.H, Male, Stuka Pilot und Din-A-Testbild. Aus dieser Zeit stammten bereits die beiden Szene-Hits Wall City Rock und Berlin By Night. Letzterer hätte – weit vor Ich steh auf Berlin von Ideal – der erste Berlin-Hit werden können, "wenn er jemals in guter Aufnahmequalität auf Platte ge- bracht worden wäre" ('Tip'). Erste Vertragsangebote wurden abgelehnt und Independent-Labels als potentielle Herausgeber gab es zu dieser Zeit noch nicht. Erst 1979 kam es zu neuerlichen Vertragsverhandlungen.

Etwa zeitgleich verließen Meijer und Dobroszcsyk die Band und wurden durch Georg Hülsmann (g) (ex-Bel Ami) und Torsten Kühnemann (dr) ersetzt. Kühnemann legte sich den Bühnen- namen Torsten von Törne zu und Hülsmann nannte sich fortan Jimi Voxx. Vorher kam es aber noch zu einer juristischen Auseinandersetzung mit den damals befreundeten Bel Ami. Die Band, die ge- rade einen Vertrag unterschrieben hatte, nahm die Schaller-Komposition Berlin By Night in einer eingedeutschten und ver- langsamten Version auf und berief sich auf eine mündliche Erlaubnis. Komponist Knut Schaller bestand allerdings darauf, den Titel zuerst zu veröffentlichen. Darüber kam es zum Rechtstreit, den PVC für sich entscheiden konnte. PVC war dadurch – und durch den Diebstahl ihrer gesamten Anlage – fast für ein Jahr aus dem Geschäft, eine Zeit, in der Berliner Lokalma- tadoren wie Tempo, Ideal und andere mit dem "Berlin-Thema" an ihnen vorbeizogen. 1979 machten PVC die Musik zu 'Sheila – A Play With Music' von Tony Ingrassia (US-Regisseur und Produzent), das beim Berliner Theatertreffen aufgeführt wurde.

Mit dabei waren im Mai 1979 im Künstlerhaus Bethanien Joy Rider, Rosie Rocca, Donna Destri, Punk-Ikone Jayne County und der Berliner Travestie-Star Romy Haag. In den 80ern galt nicht mehr der Slogan "No Future", sondern die Devise "Musik zu machen, an der die Leute auch Spaß haben und dazu mit dem Arsch wackeln können" (Pressetext). Die Texte wurden globaler, moderner und die Musik war nicht mehr so rauh und ungestüm wie in der Anfangszeit. Im Frühjahr konnten PVC mit dem 'Berliner Rock Zirkus' (mit Tempo, Insisters, Morgenrot und Z) auch erstmalig außerhalb Berlins vor großem Publikum auftreten. Der PVC-Song Berlin By Night wurde von allen teilnehmenden Musikern allabendlich als Finale gemeinsam gespielt. 1982 – fünf Jahre nach Gruppengründung – veröffentlichte die Band ihr selbstbetiteltes Debüt, dessen "Texte düstere Zu- kunftsvisionen vermittelten: ...big brother ist watching you. Das Bemerkenswerte dieser Platte war der enorme Drive, von dem beide LP-Seiten kompromißlos beherrscht wurden. Sämtliche 12 Titel waren kurz, schnell und mitreißend – extrem lebendiger Rock mit Punkwurzeln" ('MusikExpress'). 1983 veröffentlichten sie in derselben Besetzung das Album 'Basic Colours', aber ein Jahr später..

Burghard Rausch 

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Aus grauer Städte Mauern - Die Neue Deutsche Welle (NDW)

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