Wer war/ist Checkpoint Charlie ? - CDs, Vinyl LPs, DVD und mehr

Checkpoint Charlie

Sie nahmen mit Rockmusik und deutschen Texten "Spießer, kalte Krieger, verkalkte Offiziere, ganz bestimmte Politiker und Schreibtischtäter mit Unterleibern von Käthe Kruse-Puppen" (PRESSETEXT) aufs Korn. Der englische Name Checkpoint Charlie, "nach dem berühmt-berüchtigten Kontrollpunkt an der Berliner Mauer" (COSMIC EGG), führte eine wenig in die Irre, denn die Gruppe war "die allererste, die Rockmusik mit politischen deutschen Texten verband" (KRAUTROCK), und deren Konzerte nicht selten in lange Diskussionen mit dem Publikum aus- arteten. Sie waren zudem ein Teil der studentischen APO-Bewegung und traten auf Straßen, Uni-Feten, in Jugendzentren und auf Open-Air-Festivals auf und nahmen direkt zu Gegenwartsthemen Stellung, "ver- fehlten dabei allerdings – durch bewußte Provokationen der Zuhörer – nicht selten ihr Ziel" (ROCK IN DEUTSCHLAND).

Gegründet wurde die Band 1966/67 in Karlsruhe von Uwe von Trotha, Joachim Krebs, Jürgen Bräutigam, Lothar Stahl und Michael Ehlers (g). Uwe v. Trotha hatte bereits eine mehrjährige Karriere als Schauspieler am Theater hinter sich. Als er die Band in Karlsruhe gehört hatte, sprach er mit den Bandmitgliedern und schloß sich spontan an. Der musikalische Stil "entwickelte sich schnell zu einem eigenständigen Ausdruck zwi- schen Rock, Jazz, Hörspiel und psychedelischen Elementen" (KRAUTROCK). Wo sie auftraten, schockierten sie die- jenigen, die mehr Sachlichkeit und Vernunft einforderten, und auf Beat-Konzerten die inzwischen an einen Beat-Konsum angepaßten Teenies. Sehr oft wurde ihnen auch einfach der Strom abgestellt. 65 Die "Undercover Rock Agenten" (SELBSTDARSTELLUNG) gehörten, neben Reinhard Mey, Insterburg & Co., Schobert & Black u.v.a., zur Besetzungsliste des letzten 'Burg Waldeck-Festival' im September 1969 – dem Festival der Gegenkultur.

"Sie waren für mich die radikalste deutsche Band, die in der Verbindung von Text und Musik ra- tional-aggressivste. Sie haben etwas von den frühen Rolling Stones – hier wäre ein guter Anlaß gewesen, über die Rolle des Schocks in der Einleitung von Lernprozessen zu diskutieren" (SCHROEDER). Der Live-Mitschnitt eines Konzertes an der Uni Erlangen erschien 1970 als Album-Debüt in Eigenproduk- tion. Die Besetzung bestand aus Harald Lindner (voc, b), Uwe v. Trotha, Joachim Krebs, Werner Heß (b), Malte Bremer (g) und Werner Walten (g). 'Grüß Gott mit hellem Klang' erschien beim kurzlebigen Erlanger Independent-Label CPM (Club für Progressive Musik), das auch Alben von Missus Beastly auf den Markt gebracht hatte. In dem neuen Programm, der Rock-Operette 'Scheiße', beschäftigten sich Checkpoint Char- lie mit den Problemen des Umweltschutzes – und mußten zusehen, wie die politische Sammelbewegung der APO zerbrach. Zusätzlich folgte der erste Prozess gegen die Band aufgrund einer Schwarz-Rot-Goldenen Kloschüssel auf der Bühne. Als Beispiel für die deutsche Rockszene und den Begriff "Rock und der Anspruch kultischer Aufklärung" (NDR) fand die Gruppe auch Eingang in die 13-teilige 71er NDR-Sendereihe 'Sympa- thy For The Devil'. Ein Jahr später gingen Checkpoint Charlie wegen "mangelnder Zielvorstellungen" (BAND INFO) bereits wieder auseinander. Joachim Krebs und Werner Heß gründeten die kurzlebige Zwei-Mann-Gruppe Charlie Kaputt und suchten nach neuen musikalischen Formen.

Checkpoint Charlie kamen aber ein Jahr später in der Besetzung Krebs, v. Trotha, Heß, Harald Lindner und Bernd Schneider (dr) wieder zurück. Mit dem Programm 'Notwehr', einer antimilitärischen Show in Zusammenarbeit mit dem Verband der Kriegsdienstverweigerer (VK), ging die Gruppe 1972 wieder auf Tournee. Allerdings sprang der VK kurz vor Beginn ab, was große finanzielle Probleme für die Band zur Folge hatte. Trotzdem spielte Checkpoint Charlie in kleinerer Besetzung in über 100 Städten der Bundes- 66 republik Deutschland – verschwand aber, nach "Tour- neestreß, ohne finanzielle Basis und einem Haufen Schulden" (BAND INFO) 1973 erneut von der Bildfläche. Erst vier Jahre später kehrten Krebs, v. Trotha, Sahm (g, ex-Poseidon), Jürgen Bräutigam (b) und Lothar Stahl (dr) mit der Rockrevue 'Blutsturz' zurück. Check- point Charlie traten 1977 beim 'Vlotho-Festival' und bei der 78er 'Umsonst & Draußen'-Folgeveranstaltung an der Porta Westfalica, dem damals größten Sub- kultur-Festival Deutschlands, auf. Die 79er LP trug den Titel 'Die Durchsichtige', war tatsächlich in durchsichtigem Vinyl gepreßt wor- den und in einer simplen Plastiktüte verpackt.

Eingespielt in der Vierer-Besetzung Bräutigam, Stahl, Sahm und v. Trotha, enthielt sie neben Stu- dioaufnahmen drei Liveaufnahmen, mit nicht nur "härtestem Anarcho-Rock" (STERN), sondern auch "konkret politische und gesellschaftspolitische Text- beiträge" (ROCK IN DEUTSCHLAND). Später geriet die Band wegen eines auf der Bühne stehenden Papp- schweines mit dem Aufdruck 'Franz Josef' in die 67 Schlagzeilen – die Staatsanwaltschaft Kempten nahm ein Konzert vom Juni 1980 zum Anlaß, die Gruppe wegen Beleidigung zu verklagen. "Die Richter sahen den Tatbestand der Beleidigung erfüllt, denn das Vorzeigen des Pappschweines sei beleidigend. Entscheidend sei nicht, wie die Äußerung gemeint war, sondern wie sie beim Publikum ankam." (SÜDDEUTSCHE ZEITUNG). Selbst das US-Magazin 'Time' berichtete unter der Überschrift "Po- lemik und giftige Blüten" über diesen Rechtsfall. Checkpoint Charlie wurden letztendlich verurteilt 16.000 D-Mark zu zahlen.

Dementsprechend nannten Checkpoint Charlie ihr 81er Album auch 'Krawall im Schweinestall'. In "schnoddriger Alltagssprache und mit ungehobelter Rockmusik" (ROCK IN DEUTSCHLAND) zielten sie damit wieder auf den "profitgeilen, zynischen Industriellen und den gewissenlosen, korrupten Politiker. Unsere LP entstand vor dem Hintergrund juristischer Schweinereien, aber auch in einer Atmosphäre der Solidarität" (ALBUM-TEXT). 1982 gingen Checkpoint Charlie mit dem politischen Programm "Unser Herzschlag heißt Wut, unser Lied heißt Kampf" auf eine 'Feuer & Flamme'-Tournee und veröffentlichten das gleichnamige letzte Album. Des öfteren war das ebenfalls aus der "Familie Hesselbach-Kommune" stammende "Rotznasentheater für Kinder" mit dabei: "Irgendwann mußte es langweilig werden, gegen die Eiseskälte dieser Gesellschaft anzubrüllen oder anzu- träumen, wenn deine Vorstellungen vom Zusammenleben und -arbeiten sich immer nur im Kopf abspielten – des- wegen unsere Kommune, die aus 17 Menschen bestand" (PRESSETEXT)...

KRAUT! ist ein feiner Krautrock-Querschnitt in vier Aus- gaben, nach Regionen sortiert – Norden, Mitte, Süden und Berlin, mit den größten Hits, viel längst vergessener Musik und den wichtigsten Songs.

Burghard Rausch im Juni 2020

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Various - Kraut! BCD17623
Teil 3 - KRAUT! - Die innovativen Jahre des Krautrock 1968-1979

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