Wer war/ist Walter Mossmann ? - CDs, Vinyl LPs, DVD und mehr
Walter Mossmann
"Ein wandelndes BRD-Gesamtkunstwerk" ('Folker!')
"Ich hätte sie küssen können", schreibt Walter Mossmann im Beiheft zu seiner CD 'Chansons', auf der er einen Großteil der Lieder seiner ersten beiden Langspielplatten zusammengestellt hat. Wen hätte er küssen können? Nun, Ann Thönnissen. Denn sie bescheinigte 1966 in der Kultzeitschrift 'Twen' dem damals 24 Jahre alten Mossmann "intellektuelle Schärfe" und schrieb: "Ich bin beeindruckt, wittere Morgenluft, höre: 'Ist das endlich das neue deutsche Lied?'" Damals war der Liedermacher gerade von seinem zweiten Waldeck-Festival zurückgekehrt, das ihm ein grandioses Medienecho beschert hatte. Beeinflußt vor allem von französischen Chansonpoeten wie Georges Brassens und dann auch vom Zeitgeist, der aus den USA herüberwehte, wo das Folkrevival mit Singer/Songwritern wie Pete Seeger und Phil Ochs in vollem Gange war, übte sich der 1941 in Karlsruhe geborene junge Musiker an seinen ersten eigenen Liedern. Darunter der 1965 entstandene Survivor's Song. Den Refrain "Ne pas se pecher au dehors! / Besser nicht hinauslehnen! / E pericoloso sporgersi!" werden nur die Älteren unter uns noch verstehen können. Als man Zugfenster noch öffnen konnte, fand sich daran immer ein kleines Schild mit diesem Text. Die redensartliche Wendung "sich hinauslehnen" benutzt Mossmann hier als Metapher für sich einmischen, partizipieren, Verantwortung übernehmen, sich exponieren: kurz für demokratische Mitverantwortung. Es geht ihm um den Generationenkonflikt der Epoche zwischen der Nazigeneration und den Nazikindern, der '68er-Kohorte'. Entscheidend für den Erfolg der Nazis, sagten die Nazikinder, waren nicht nur die Taten der Täter und der Mitläufer, sondern auch das Nichtstun der Indifferenten, der Zuschauer, derer, die nicht wissen wollten.
Auf der Waldeck hatte Mossmann 1965 das Lied das erste Mal aufgeführt. Im Winter des darauf folgenden Jahres nahm er es, begleitet von Michel Werner nebst Gitarre an Bouzouki und Klarinette, für seine erste Langspielplatte auf: 'Achterbahn – Chansons'. Angesichts von elektrifizierter Gitarre und Beat-Rhythmus fällt Mossmann dabei rückblickend auf, daß die Debatte zwischen Folkpuristen und 'Elektrifizierern', die Bob Dylans Griff zur elektrisch verstärkten Gitarre beim Newport Folk Festival 1965 in den USA ausgelöst hatte, hier überhaupt keine Rolle spielte.
In der Zeitschrift 'Song' antwortete er im Oktober 1966 auf eine Frage zu dem Lied Hafenrevue, einem weiteren Titel seiner Debüt-LP: "Man hat moniert, daß Ihre Lieder durch esoterische Gags, Anspielungen, Zitate z. T. unverständlich werden. Entspricht das Ihrer Absicht?" – "Ich stecke den Tadel ein. Aber nehmen wir ein Beispiel: Der Kabarettist ist darauf angewiesen, daß sein Publikum Zeitung liest, am besten dasselbe Magazin, damit es über 'Schubladengesetze' orientiert ist, 'Pinscher', 'Hausbrand bei Graß' etc. Nehmen wir an, ein paar Kästchen unseres Bewußtseins sind nicht mit Pressemeldungen belegt, mit einem Gedicht aus der Schulzeit etwa, einem populären Opernsong, einem Schlagertext. Darauf reflektiere ich. Ich führe also in der 'Hafenrevue' vor, wie die Träume von den glücklichen Inseln produziert werden, und für wen. Dann könnten dem geneigten Hörer doch immerhin die Verbindung zwischen 'Schiff meiner Träume' und 'Mignon', der Kontrast zwischen Illustriertengeschichte und Seeräuberjennys Vision, und die Interpretation Freddys als Kaffemütze des Gemüts Spaß machen. Zugestanden, ich habe mich manchmal verschätzt (der 'Dormeur du val' und 'Le bonheur' sind bei uns nicht zitatfähig), aber das kann anderen auch so gehen. Vielleicht denkt mancher bei Süverkrüps 'Tantalustbarkeit' an hoffnungsloses Steinewälzen oder an die Tarantella – im Eifer des Gefechts."
Mit zwei LPs in der Tasche – nach 'Achterbahn – Chansons' erschien Anfang 1968 'Große Anfrage' – wurde Walter Mossmann dann im Herbst des Jahres zu den Essener Songtagen eingeladen – neben anderen Waldeckern wie Franz Josef Degenhardt, den Kröher-Zwillingen, Rolf Schwendter, Dieter Süverkrüp und Hannes Wader. Reinhard Hippen beschrieb ihn im Programmheft so: "Kritiker haben Mossmann einen 'Parodisten' genannt, einen 'innerlich Tiefverletzten', einen 'lyrischen Sarkasten' oder auch einen 'Soziologievertoner'. Der Betroffene selbst, der Mozart-Opern und die Beatles schätzt, ein ausgezeichneter Kenner Heinrich Heines ist, bezeichnet sich schlicht als einen Chansonnier: 'Ich nenne meine Gebrauchspoesie Chansons, weil ich meine ersten Lieder unter französischem Einfluß gemacht habe und weil 'chanson' bekanntlich nichts weiter als 'Lied' heißt und ich das Spiel mit den geistreichen Attributen nicht sonderlich lustig finde." Bei den Essener Songtagen ist Mossmann dann aber gar nicht mehr aufgetreten; er hatte sich nämlich im Laufe des dramatischen Jahres 1968 von der Liedermacherszene verabschiedet und kam erst sieben Jahre später mit seinen 'Flugblattliedern' zurück.
Mossmanns Heine-Begeisterung geht auf sein Studium in Tübingen zurück. Im Wintersemester 1962/63 schrieb er eine Arbeit über 'Deutschland. Ein Wintermärchen'. Seither ist Heine sein zweiter Chanson-Schutzheiliger neben Georges Brassens. Was sich u. a. deutlich bei der LP 'Große Anfrage' zeigt. So sind über das ganze Titelstück 'Große Anfrage auf dem Montmartrefriedhof anläßlich eines Staatsaktes' – gemeint war das im Fernsehen am 26. April 1967 live übertragene Pontifikalrequiem für Konrad Adenauers, "die scheinbar unsterbliche Ikone der Nachkriegsrestauration", im April 1967 – Zitate aus Heine-Werken verstreut. Und mit der 'Vorrede an das Publikum' ziert die Plattenhülle ein programmatischer Text über das 'Politische Lied', der sich ausdrücklich auf Heinrich Heine bezieht und mit dem sich Mossmann von der "Tendenzpoesie" mancher Liedermacher distanzierte: "Sicher, der politische Sänger nennt seine Traditionen, bezeichnet das Anstößige, ergreift Partei; wenn er sich aber wider besseres Wissen auf Parteilinie begibt, dann geht er auf dem Strich."
Auf dieser zweiten Platte findet sich auch Pik Sieben oder Carneval bei Circe. Dazu sagte Hanns Dieter Hüsch in Radio Bremen, nachdem er es live beim 4. Waldeck-Festival 1967 gehört hatte: "Daß er ein Poet ist, wissen wir, daß Heinrich Heine ihn auf vielen Wegen begleitet, wissen wir auch, aber daß er so süffisant, zerbrechlich-ironisch, ja, fast ringelnatzisch-beschwipst und aschermittwochmäßig vertrollt sein kann, das wussten wir, glaube ich, nicht, zumindest ich nicht."
* 2004 erschienen unter dem Titel 'Chansons – Flugblattlieder – Balladen – Cantostorie/apokrüfen' vier CDs mit etwa 60 Titeln von Walter Mossmann aus den sechziger, siebziger und achtziger Jahren. In der Rezension der Zeitschrift 'Folker!' hieß es: "Kein Liedermacher, ein wandelndes BRD-Gesamtkunstwerk stellt sich hier vor ... Mit seiner Stimme ging er so verschwenderisch um, daß sie nicht bei ihm blieb und er den ungebrochenen Kreativitätsstrom in Film- und Theaterarbeit umlenkte. Diese Box bleibt hoffentlich nicht Mossmanns letztes Wort."
www.walter-mossmann.de
Auszug aus
Various - Liedermacher in Deutschland
Vol.1, Für wen wir singen (3-CD)
/various-liedermacher-in-deutschland-vol.1-fuer-wen-wir-singen-3-cd.html
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