Wer war/ist Karl-Heinz Reintgen ? - CDs, Vinyl LPs, DVD und mehr
Vom Sender Belgrad in die Welt
Mit all diesen Schallplatten war Lili Marleen allerdings immer noch kein Schlagererfolg. Das aber sollte sich bald ändern. Die Erfolgsgeschichte beginnt mit einer deutschen Funkstation im besetzten Jugoslawien – dem Soldatensender Belgrad.
In den frühen Morgenstunden des 6. April 1941 hatten die deutschen Truppen Jugoslawien überfallen. Eine Woche später marschierte die Wehrmacht in die Hauptstadt Belgrad ein. Am 19. April 1941, einen Tag nach der Kapitulation der jugoslawischen Armee, übernahmen Rundfunkexperten der Propaganda-Abteilung Südost den Belgrader Sender; für den Sendebetrieb waren Karl-Heinz Reintgen und Hans-Jürgen Nierentz von der Wehrmachtssendegruppe Südost verantwortlich.
Karl-Heinz Reintgen (1915-1990) wurde in Wilhelmshaven geboren. Nach dem Abitur war Reintgen zunächst journalistisch tätig. Nachdem er 1935 erfolgreich an einem Reporterwettbewerb des Reichssenders Hamburg teilgenommen hatte, arbeitete Reintgen zwei Jahre für den Berliner Rundfunk, sowohl beim Deutschlandsender als auch bei den Deutschen Kurzwellensendern. 1937 ging Reintgen zum Militär, wurde 1940 als Oberleutnant in eine Propagandakompanie des Heeres übernommen und im August 1941 zum Leiter der Sendergruppe Südost ernannt. In dieser Funktion war Reintgen Mitarbeiter der Interradio und des Rundfunkreferats in Ribbentrops Außenministerium. 1944 war er nach Österreich versetzt worden, um die Leitung des Reichssenders Wien zu übernehmen. Von 1947 bis 1951 arbeitete der Leiter des Belgrader Soldatensenders als Dolmetscher, ab 1951 war er als Mitarbeiter des Südwestfunks Baden-Baden tätig, im Oktober 1961 wechselte er zum Saarländischen Rundfunk Saarbrücken, wo er 1968 Chefredakteur und 1974 stellvertretender Intendant wurde.
Reintgens Mitarbeiter für politische Wortsendungen war Hans-Jürgen Nierentz (*1909). Der gelernte Kaufmann hatte in Berlin ein Graphikstudium begonnen, schrieb Gedichte und Prosa und belieferte die Zeitungen mit Reportagen und Berichten. Im November 1930 trat Nierentz der NSDAP bei und machte rasch Karriere, zunächst als Reporter, bald darauf als Kulturchef des von Goebbels herausgegebenen Parteiorgans 'Der Angriff'. Nach Hitlers Machtübernahme wurden seine zuvor kaum zur Kenntnis genommenen Gedichte und Prosastücke zu Höhepunkten deutscher Kunst hochstilisiert. Anfang 1934 wurde er Leiter der Abteilung 'Kunst und Weltanschauung' beim Reichssender Berlin, zwei Jahre später machte ihn Goebbels zum Reichsfilmdramaturgen. Im April 1937 wurde Nierentz Intendant des Fernsehsenders 'Paul Nipkow', der ein Jahr später in Berlin seinen Sendebetrieb aufnahm. 1940 wurde er zum Militär eingezogen, im Jahr darauf dann zur Propagandakompanie Südost abgestellt und in Belgrad stationiert. Nach Kriegsende war Nierentz zunächst Anstreichergehilfe, dann Requisiteur am Kölner Millowitsch-Theater. Ab 1947 arbeitete er für mehrere Werbeagenturen.
Zu den weiteren Mitarbeitern von Radio Belgrad gehörten auch die sogenannten 'Sonderführer' Walter Jensen, zuvor Sprecher beim Deutschlandsender, und Richard Kistenmacher, im Zivilberuf Conférencier - er war für die Unterhaltungsprogramme des Senders verantwortlich; nach 1945 war er für den SFB tätig. Sendeleiter war Heinz Rudolf Fritsche, der später für den Süddeutschen Rundfunk in Stuttgart arbeitete, und Rundfunksprecher Hans Günther Oesterreich (1910-1990), der nach dem Zweiten Weltkrieg zum Sendeleiter von Radio Bremen avancierte.
Alle Mitarbeiter des Soldatensenders Belgrad, um den es von Anfang an erhebliches Kompetenzgerangel zwischen dem Außenministerium, dem Propagandaminister und dem Oberkommando der Wehrmacht gab, verfügten über einige Rundfunkerfahrung, sei es in der Programmgestaltung oder in der Technik. Sie gehörten verwaltungsmäßig zur Radio Belgrad AG, über die das Auswärtige Amt auf die Programmgestaltung Einfluß nahm. Praktisch unterstanden sie allerdings der Wehrmacht. Diese schützte den Soldatensender vor einer Einflußnahme des Propagandaministeriums, das mit Verweis auf seine Verantwortung für die Unterhaltungssendungen des Großdeutschen Rundfunks auf ein übergeordnetes Weisungsrecht pochte. Sendeleiter Fritsche erinnerte sich später: "Goebbels versuchte ... ständig bei uns mitzureden, aber ohne Erfolg. Beschwerden kamen meistens beim Verbindungsoffizier der Wehrmacht ... an, oder noch weiter oben." Da blieben sie dann oft hängen.
Am 21. April 1941, zwei Tage nach dem Eintreffen der uniformierten Funkleute, war Radio Belgrad wieder auf Sendung, nun als deutscher Soldatensender. Die Anfänge waren primitiv. Zwar waren die Sendeanlagen noch funktionsfähig, Sorgen machte hingegen die Programmgestaltung. Zur Untermalung der Wortsendungen und für Musiksendungen standen aus den Beständen des ehemaligen serbischen Rundfunks - nach Aussonderung jüdischer und serbischer Aufnahmen - lediglich 54 Schallplatten zur Verfügung.
Deshalb schickte Reintgen seinen Mitarbeiter Kistenmacher zum Reichssender Wien, um dort weitere Schallplatten zu organisieren. Aber die dortigen Rundfunkleute stellten nur Platten zur Verfügung, die entweder unpopulär waren oder deren Ausstrahlung verboten war. Eine dieser Platten war Lale Andersens Electrola-Aufnahme vom Lied eines jungen Wachtpostens.
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