Wer war/ist Wolfgang Neuss ? - CDs, Vinyl LPs, DVD und mehr

Als gestern noch heute war, war er alles andere als gestrig. Im Gegenteil. Er lebte voll in seiner Zeit, rieb sich an ihr, war ihr oft genug sogar um einige Längen voraus 

Er hatte seinen eigenen Kopf; wie alle, die etwas in Gang und in Bewegung bringen wollen, war er ungeduldig und immer auf dem Sprung, hellwach und voller Pläne. Er machte radikale Veränderungen durch, ließ sich auf Neuland ein, riß vielerlei Brücken hinter sich ab und blieb sich doch treu wie einer, der nicht aus seiner Haut kann. Er war und blieb der unangepaßte Querkopf, der auch in schwierigen Zeiten für sich und andere das Recht in Anspruch nahm, sich seinen eigenen Kopf zu machen und seine eigene Geschichte zu leben. Das hat ihn oft genug in Konflikt mit der Gesellschaft gebracht, die nicht so wollte wie er sich's wünschte: In den Fünfzigern, als er eine andere Politik, in den Sechzigern, als er eine andere Republik, in den Siebzigern, als er ein anderes Leben, in den Achtzigern, als er ein anderes Bewußtsein einklagte.

Als Kind hatte er Clown werden wollen – damals wurde daraus nichts. Aber auf eine spezielle, die ihm eigene Art, hat er diesen Kindheitstraum eigentlich nie aus den Augen verloren. Begonnen hat er seine Karriere als Frontkomiker und Conferencier, als Spaßmacher im Lazarett, als selbsternannter Witze- und Possenreißer, der sich in den dunklen Zeiten, in denen er wirkte, in die Pointe verliebte und sie den Leuten, wo und unter welchen Umständen auch immer, einzuhämmern gedachte. Kein Wunder, daß er eines Tages die Pauke, die ja eigentlich eine große Trommel war, zu seinem Requisit machte. Sie wurde zu seinem Markenzeichen – Neuss, der Mann mit der Pauke.

Auf den Brettern, die die Zeit bedeuten, hat er sich herumgetollt wie kein zweiter: als Kasino-Klamottier und Truppenbetreuer des Zweiten Weltkriegs, als Manegen-Komiker und Selfmade-Literat, als Einmann-Kabarettist und Theater-Autor, als Shakespeare-Darsteller und Werbespot-Onkel, als Musical-Star und Leinwand-Liebling, als Zeitungsherausgeber und Drehbuchschreiber, als Filmemacher und Platten-Plauderer, Chansonsänger und Conferencier, als Wahlkampf-Trommler und Protest-Prediger – Neuss, das war eine aktionistische Mehrzweckwaffe in den Medien, ein Alleskönner und Tausendsassa, ein professioneller Dilettant. Bekannt von Film, Funk, Fernsehen, Bühne, Schallplatte, Schlagzeile und Kabarettkeller.

Auf das Allround-Talent war schon zu Zeiten, da er im Zenit seiner Karriere stand, wenig Verlaß gewesen. Dazu wollte er wohl zuviel. Mit den Jahren mauserte sich der Spaßmacher zum Satiriker, zur Schnauze mit Herz gesellte sich der Verstand. Den weiten vom Cabaret zum Kabarett, vom Tingeltangel zum Polit-Theater, legte Wolfgang Neues im Alleingang zurück. Er legte sich an und legte sich fest, er stieß vor den Kopf, klopfte auf die Finger und trat auf die Zehen - kein Tabu, das vor ihm sicher war, kein heißes Eisen, das er nicht in die satirische Zange genommen hätte.

Der Weg nach oben war beschwerlich gewesen, Neuss ging ihn beharrlich und unbeirrt, er benutzte seine Ellbogen und manche List, um zu erreichen, was er sich vorgenommen hatte. Als er es endlich geschafft hatte, als er ganz oben war – in den Sechzigern war er Deutschlands schärfster und zugleich populärster Kabarettist, die absolute Nummer eins –, wollte er plötzlich nicht mehr. Wie es dazu kam, ist eine lange Geschichte, die auf dieser Doppel-CD nachgezeichnet werden soll.

Für den Film, den ich in den siebziger Jahren über seinen Ausstieg drehte, gab er mir zu Protokoll: "Ich habe lange gebraucht, bis ich endlich oben war: Karriere, Popularität - das brauchte seine Zeit. Es war harte Arbeit. Jetzt arbeite ich am Gegenteil: Wie werde ich unbekannt. Ich bin sicher, ich schaffe auch das."

Er hat es geschafft, fast jedenfalls. Denn seit die gefürchtete Schandschnauze, die man so liebte, von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machte, ist Neuss doch immer präsent gewesen, ohne eigentlich präsent zu sein. Presse, Funk und Fernsehen, denen er immer für eine Sensation, oft genug für einen handfesten Skandal gut war, übten sich in einer neuen, eigens für Neuss entwickelten Kür: Nachruf auf einen Lebenden. Meist wurde ein Boulevard-Rührstück daraus - die Moritat vom bösen Kellerkind, das nicht hören will und nun zur Strafe an den Pranger bürgerlichen Mitleids gestellt wird. Zuweilen rächte sich der Eremit aus Berlin-Charlottenburgs Lohmeyerstraße mit der einen oder anderen in die 'Scene' eingeschleusten Kiffer-Klamotte, mit manchem scharfen Spruch. Und machte mit Rauchzeichen auf sich aufmerksam, lebte etwas vor, was nicht jedermanns Sache war.

In seinen letzten Lebensjahren entdeckten ihn die jungen Leute, fühlten sich angezogen von den flotten Sprüchen eines Sechzigjährigen, der ihr Großvater hätte sein können und den sie nie auf der Bühne erlebt hatten.

Auszug aus dem Booklet BCD16077 - Wolfgang Neuss Neuss Total - Der Mann mit der Pauke (2-CD)
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Various - 100 Jahre Kabarett
Geschichte des deutschsprachigen Kabaretts

Erich Mühsam, Schriftsteller, Politiker, Kabarettautor, trat mehr als ein Jahrzehnt lang regelmäßig im Kabarett mit Polit-Satiren und Nonsens-Sprüchen, mit Balladen, Liedern und Gedichten auf. Der gelernte Apotheker, Freund und Vertrauter des Dichters Peter Hille, trug seine Werke schon im Berliner Kabarett “Zum Hungrigen Pegasus” vor. Im “Siebenten Himmel” schüttelte Mühsam, gegen ein geringes Festhonorar, die Reime, wie sie fallen: “Das wär ein rechter Schweinehund, dem je der Sinn nach Heine schwund” oder “Sie würden mir große Freude bereiten, wenn Sie meinen Hund von der Räude befreiten.” Gastspiele führten ihn nach Wien ins „Nachtlicht“ und in den „Simplicissimus,“ nach München zu den “Elf Scharfrichtern” und in den “Simpl”. Hier, in der von Kathi Kobus geführten Münchner Künstler­kneipe, war er 1907 mit seinem „Revoluzzer“ zu hören, jener Ballade, die er aus gegebenem Anlaß “der deutschen Sozialdemokratie“ gewidmet hatte.

Andere Kabarettisten haben ebenfalls dazu beigetragen, daß das “Revoluzzerlied” rasch bekannt wurde, darunter Danny Gürtler, der selbsternannte “König der Boheme”. 1916 wurde es im Züricher “Cabaret Voltaire” vorgetragen, in den zwanziger Jahren war es der Kabarett-Hit in der Auseinandersetzung der politischen Linken. Besonders populär wurde die Version, die Ernst Busch (1900–1980) nach der Melodie von Bela Reinitz sang. Ende der sechziger Jahre interpretierte Kabarettist Wolfgang Neuss (1923–1989) das Revoluzzer-Lied, der damals in einer TV-Produktion über die Münchner Räterepublik den Mühsam spielte. Aus dieser Zeit stammt auch die hier vorgestellte Aufnahme. Nach dem Ersten Weltkrieg betätigte sich der Radikaldemokrat, Pazifist und Anarchist Erich Mühsam (1878–1934) an der Revolution in Bayern und wurde Mitglied der Münchner Räteregierung, was ihm sechs Jahre Festungshaft einbrachte. Von den Nazis 1933 unmittelbar nach dem Reichstagsbrand verhaftet, wurde er ein Jahr später im Konzentrationslager Oranienburg ermordet.

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