Wer war/ist Richard Germer ? - CDs, Vinyl LPs, DVD und mehr

Richard Germer

Es muß so um die Mitte des Jahres 1976 gewesen sein. In einer stillen Seitenstraße vor einem unauffälligen Einfamilienhaus im Hamburger Stadtteil Rahlstedt laden zwei Männer drei große Instrumentenkoffer aus einem Auto. Ein weißhaariger älterer Herr wird dabei unterstützt von einem schlanken jüngeren Mann. Man kann sie beide auf den ersten Blick für Vater und Sohn halten, aber es sind –wie die Nachbarn erst viel später erfahren – der berühmte und beliebte Hamburger Volkssänger, Lautenvirtuose und Musiker Richard Germer (1900 – 1993) und sein langjähriger Freund ,Weggefährte und 'Ziehsohn' Helmut Gättke (* 1935 ), der Richard Germer 1973 bei einem Ausflug nach Sylt einmal beiläufig gefragt hatte, ob er denn nicht Lust habe, jetzt wo er nicht mehr aktiv aufträte, einmal die Lieder seiner Jugend zu singen und auf der Laute zu spielen. Nur so aus Vergnügen, und er würde ihn dabei auch auf Tonband aufnehmen.

Germer reagierte zunächst nicht darauf, aber nach etwa einem Jahr fragte er telefonisch an: "Du hast doch mal gesagt, wir könnten die alten Lieder von früher bei Dir aufnehmen - meinst du das immer noch? Ja, dann lass uns das mal machen!" Und so entstanden von 1972 bis 1982 neben vielen Hans-Leip-Liedern auch die auf dieser CD zu hörenden Titel. Diese letzten Aufnahmen stammen von einem über 80jährigen Künstler, und es ist erstaunlich, mit welcher Vitalität, Kraft und zupackenden Intensität Richard Germer die Lieder aus seinen frühen Jahren nun im Alter gestaltete!

 

"Anfangs kam Germer noch im eigenen Wagen zu mir gefahren, aber das änderte sich im Laufe der Jahre. Ich habe ihn später von seinem Haus an der Elbchaussee abgeholt und dann fuhren wir beide zu mir. Oft kochte ich Essen für den alten Herrn, denn er aß so gerne bei mir, und wenn ich dann in der Küche werkelte, dann hörte ich ihn auf seiner alten Laute, die er mir ja geschenkt hatte, im Wohnzimmer das eine oder andere ausprobieren. Das war immer gemütlich, wir aßen und klönten, und es dauerte immer eine Weile, bis wir an die Arbeit gingen. Oft fingen wir auch schon an, um zwei Uhr nachmittags aufzunehmen, und es war keine Seltenheit, daß die Sitzungen bis tief in die Nacht andauerten. Er trank gerne viel und starken Kaffee dabei, aber niemals Alkohol: 'Du mußt dir eines merken: Geh nie mit Alkohol auf die Bühne. Es gibt einige, die machen das, aber dann hast du keine Kontrolle mehr!'"

 

Irgendwann begann die musikalische Arbeit der beiden.Helmut Gättke, der zunächst überhaupt keine Ahnung von Tonbandmaschinen, geschweige von Studio- oder Mikrophontechnik hatte, kaufte zunächst ein Zweispur-Revox-Gerät und arbeitete sich über die Monate so weit ein, daß brauchbare Aufnahmen im Wohnzimmer entstanden. Nachts war ein idealer Zeitpunkt, weil kein Straßenlärm mehr zu hören war und weil es der Vorliebe der 'Nachteule' Germer entgegen kam. An manchen Nächten entstanden so zwei, drei Lieder, machmal aber auch nur eines, weil Germer jedes Mal, wenn ihm ein Fehler unterlief, wenn eine Saite schnarrte, wenn er eine undeutliche Aussprache bemängelte oder wenn irgendetwas ihn störte, das Lied abbrach und es von vorne bis hinten in einem Rutsch noch einmal spielte. Und zwar so lange und so oft, bis beide zufrieden waren. Germer hielt zwar große Stücke auf die Meinung seines 'Toningenieurs', aber wenn er unzufrieden war und Gättke schon einen Haken in seinem Aufnahmebuch gemacht hatte, ging Germer noch einmal ans Werk und sang noch einmal – dann meistbesser als vorher. Gerne wurde dann der 'Tonmensch' von Germer aufgezogen: "Es ist doch erst 4 Uhr, bist du etwa schon müde?"

 

Eines Tages kam Richard Germer dann mit drei Instrumentenkoffern in Rahlstedt an und Helmut Gättke wunderte sich: "Ich dachte: Bringt der noch ein Orchester mit? Und plötzlich standen da drei große Baßlauten bei mir im Wohnzimmer und er sagte: 'Jetzt kannst du dir eine aussuchen.' Ich hielt das ganze für’n Witz. Er zeigte auf seine Urlaute, gebaut von Otto Tittmann, der 1928 in Hamburg ein Musikgeschäft und eine Werkstatt eröffnet hatte, und sagte: 'Da sind meine gesamten Kompositionen drauf entstanden. Die ist schön, die sollst Du jetzt haben. Du kannst Dir aber noch eine andere aussuchen, wenn Du willst.' Da ich ihn sehr gut kannte, wußte ich, daß er es ernst meinte und so hatte ich plötzlich eine Baßlaute von Richard Germer. Er brauste dann mit seinem Auto wieder davon, und ich stand nun allein vor diesem Instrument und hab ab und zu mal 'Blummblumm' gemacht, wie er es nannte. Langsam fing ich dann mit Begeisterung und seiner Hilfe an, das Instrument zu lernen, und so spiele ich seit über 35 Jahre diese schöne Laute!"

 

Laut Helmut Gättkes Aufnahmeprotokoll begannen die beiden mit der Aufnahme von Hans-Leip-Liedern und 1976 mit den  traditionellen und plattdeutschen Texten. Die ersten waren Wedeler Schipperdanz (Nr. 17), Ol Vadding Franzen (Nr. 19), Vineta (Nr. 14) und Vedder Michel (Nr. 21). Bis auf das letztere - ein altes Volkslied - waren dies alles Gedichte von Helmuts Vater, dem Poeten und Schriftsteller Walter Gättke, mit dem Germer seit frühester Jugend schon freundschaftlich verbunden war. Die Gättke-Lieder liebte er sehr, er hat viele von ihnen über Jahre vertont und gesungen. Zum Zeitpunkt der Aufnahmen lebte Gättke Senior aber nicht mehr, so daß nun offensichtlich die tiefe Freundschaft auf den Sohn überging.

 

Walter Gättke selbst spielte zwar auch Laute, aber natürlich lange nicht so virtuos wie der Meister.  Dennoch er hatte wohl beim Schreiben seiner Texte auch die Vortragseigenart Germers vor Augen und den Klang der Stimme im Ohr. Das Schreiben geschah aus alter Verbundenheit und Freude an der Kunst, Germer vertonte dann die Gedichte allein oder auch manchmal zusammen mit ihm. Dann floss auch ein guter Tropfen, und hin und wieder spendierte Germer eine Kiste Zigarren. Helmut Gättke erzählte die folgende amüsante Geschichte aus dem Jahr 1945:

 

"Es war unmittelbar nach dem Krieg. Germer kam zu uns mit seiner Laute per Omnibus. Wir waren da ein ganz kleiner Kreis, ich glaube, es war sogar eine Flasche Cognac auf dem Tisch, die durch irgendwelche Beziehungen reingeflossen war, das war etwas Seltenes damals. Ich war neun Jahre alt und fand das alles wahnsinnig aufregend, auch dieses große Instrument im Kasten. Ich dachte immer: Wann macht er endlich den Kasten auf? Und dann war es endlich soweit! Und dann kam die Stimme meines Vaters: 'Helmut! Ab ins Bett!' Das fand ich ja nun sowas von gemein, aber gehorchen mußte ich ja. Ich schlief ja im Dachgeschoß, da mußte ich durch eine Bodenluke hoch, ich bin also hochgeklettert, habe die Luke von oben mit einem Rumms zugemacht und gleich wieder aufgezogen. Nun konnte ich den Erwachsenen lauschen. Mein Vater hat dann etwas vorgetragen, und vor allem Germer hat auf seiner Laute gespielt und gesungen. An diese Begebenheit denke ich immer gerne zurück, denn hier wurde meine  große Zuneigung geboren."

 

aus dem Booklet BCD16293    Richard Germer     Die Musik kommt

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