Wer war/ist Kastrierte Philosophen ? - CDs, Vinyl LPs, DVD und mehr

Kastrierte Philosophen

Katrin Achinger (b, dr, g, org, voc)
Matthias Arfmann (b, dr, g, org, p, voc)

Ende der 70er wagten sich zwei Teenager auf das brachiale Parkett des Punkrock. Sie hatten die Idee,gemeinsameineBandzugründen. Achinger und Arfmann gehörten zu jenen "3-Akkord- Dilettanten, die Hippie-Spießertum, verkrustete politische Debatten und Jazzrockgesülze mit Spaß und politischer Provokation torpedierten" ('Musik- Express'). Einige Jahre nach Gründung waren die Kastrierten Philosophen zu Kritikerlieblingen avanciert und die englische BBC-Radiolegende John Peel spielte Songs der Band, stolperte allerdings jedesmal über den Bandnamen. Arfmanns "cha- rakteristische Philosophen-Gitarre und Achingers dunkler, betörender Gesang begründeten ihre Aus- nahmestellung – nicht nur in der deutschen Mu- siklandschaft. Als 'deutsche Velvet Underground' wurden sie Mitte der Achtziger von der Musik- presse bejubelt – und das völlig zu recht, denn gemeinsam mit anderen Bands wie den 39 Clocks hatten sie damals ein neo-psychedelisches Sechzi- ger-Revival eingeläutet, dem später noch weitere folgen sollten. Aber niemals hat wieder jemand so geklungen wie die Kastrierten Philosophen" ('Ju- stament').

Der in Verden/Bremen geborene Multiinstrumentalist Arfmann hatte Klavier- und Gesangsausbildung und gründete die Kastrierten Philosophen Anfang der 80er. Achinger begann 1978 ihre musikalische Karriere als Bassistin in einer Frauen- punkband. "Wir wollten unser Ding machen und nicht auf irgendwelche Trends aufspringen" (Achin- ger). Die Gruppe bewies von Anfang an den Mut, ihre eigenen Vorstellungen umzusetzen – Rock 'n' Roll, der geprägt war von gemeinsamen Vorlieben für die Stooges, Velvet Underground, Nico und Television, und ein Sound, der ehrlich, ungeschliffen und rauh war. Das Paar schuf sich einen ver- stiegenen Sound-Mikrokosmos, der "sowohl ungestümen Gitarrenrock als auch morbiden Trash" ('Rocklexikon Deutschland') und "ruhige, atmosphärische Nachtcafe-Musik" ('Tip') enthielt. Die ersten Kassetten und die beiden ersten EPs, 'Kastrierte Philosophen' und 'Lens Reflects Fear' erschienen auf dem 39 Clocks-Label PSYCHOTIC PROMOTION. Darauf klangen die beiden Fast-Noch-Teenager "rauh und ungeschliffen, manchmal auch verspielt und experimentell" ('Justament') und fa- brizierten – "nun ja – ziemlich unkommunikativer Synthy-Krach, der ein Konzept, das der Gruppen- name andeutet, vermissen läßt" ('Sounds'). Gleich von Beginn an ließ sich das Paar immer von Gast- musikern begleiten. Bei der Debüt-EP, aufgenom- men im Bremer FDT-Studio, waren es Michael Jänisch (sax, g, Casino Mariteam) und Uwe Ha- mann (dr).

Zwar war der "Mittelpunkt des Univer- sums Kastrierte Philosophen immer das Duo Arfmann/Achinger, dank seines Gesamtwerkes |87 möglicherweise Deutschlands einziges sympathi- sches Pärchen schöngeistiger Misanthropen, doch was sich so in deren Umlaufbahn bewegte war kaum von Bestand, wenn auch selten ohne Ein- fluß, was fast jede Platte zu einem musikalischen Überraschungs-Ei machte. Nicht selten war die Ent- wicklung von einem Album zum anderen kaum nachzuvollziehen, geschweige denn mitzuverfolgen" ('Intro'). Im Lauf der Band-Geschichte spielten so viele verschiedene Musiker auf den Veröffentlichungen und bei den Konzerten mit, daß insgesamt eher der Eindruck eines Bandprojekts als einer feststehenden Gruppe entstehen konnte.

Auf ihrem 85er Debüt-Album 'Love Factory', erschienen bei WHAT'S SO FUNNY ABOUT, waren z.B. Jürgen Gleue (g, 39 Clocks), Stefan Gross (b, Lüde und die Astros), Rüdiger Schmidt (dr) und Wolfgang Wiggers (sax, vi) als Gäste dabei. Auf einer anschließen- den Tournee mit der ex-Velvet Under- ground-Ikone Nico ließen sich Achinger und Arfmann von Schmidt 88| und Andy Giorbino (g, harm, perc, ex-Geisterfahrer) begleiten. Erst das zweite Album 'Insomnia' (1986) er- hielt durchweg gute Kritiken und war das "erste wichtige Album der Band – mit englischen Texten und ohne gängiges Rock-Klischee" ('Mu- sikExpress'). Auch hier umgab sich das Duo mit Gästen wie dem US-Amerikaner William Lee Self (g, The Beauty Contest), Schmidt, Wiggers und Michael Polten (Mix, Hans-A-Plast). Es folgten erfolgreiche Tourneen in Deutschland, Frankreich und England.

Insgesamt kommen die Kastrierten Philosophen auf ein gutes Dutzend Alben, die sie mit wechselnden Musikern in unterschiedlichen Genres aufgenommen hatten – stilistisch äußerst wandelbar: von Post-Punk über Trip-Hop und Psychedelic bis Reggae und Dub – bis sie sich 1996/97 auflösten. Nach der privaten und musi- kalischen Trennung von Achinger und Arfmann war Letzterer im Wesentlichen als Produzent verschiedener Musikrichtungen tätig und residiert in seinem aktuellen Studio, dem Turtle Bay Country Club in Hamburg-Neuenfelde. Er arbeitete u.a. für The Vision und Blumfeld. Im deutschen HipHop-Boom der 90er war Arfmann als Produzent für Patrice, Jan Delay, Advanced Chemistry, Cora E., Fischmob und Absolute Beginner (jetzt Die Beginner) sehr erfolgreich. Für die Produktion des 98er Beginner-Albums 'Bambule' wurde er 2000 für den Echo nominiert. Als Produzent und Musiker veröffent- lichte Arfmann über 150 Alben. Achinger veröffentlichte Soloalben, fand für ihr 2009 eingespieltes Album allerdings kein Label. Der lang- jährige Kastrierte Philosophen-Schlagzeuger Rüdiger Klose (ex-39 Clocks) verstarb im September 2010.

Burghard Rausch 

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Aus grauer Städte Mauern - Die Neue Deutsche Welle (NDW)

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