Wer war/ist Minus Delta-t ? - CDs, Vinyl LPs, DVD und mehr

Minus Delta-t

"Mike Hentz von 'Minus Delta-t' – eigentlich ein äußerst lieber, gebildeter Mensch. Aber der hat seine Kunst wirklich gelebt. Ich habe damals einen Film mit ihm gemacht, da sollte er so tun, als ob er vom Dach fällt. Der ist wirklich vom Dach ge- fallen! Oder er sprang auf eine Leiter, zündete sich an und sang: 'Come on, baby, light my fire'. So was konnte ich ernst nehmen.“ (Frieder Butzmann)Mike Hentz (v, performance) Karel Dudesek (performance) Chrislo Haas (syn) Der Begriff "Minus Delta-t" steht in der Computertechnik für die "kodierte Bezeichnung einer statisch berechneten Zukunft, die vorweggenommen wird" oder aber für die "Differenz zweier Zeiten mit negativem Wert".

In der Musikszene steht der Name "Minus Delta-t" für eine Performance- und Musikgruppe aus Zürich, die 1978 gegrün- det wurde. Die Gruppe fiel durch absurd-provokative Aktionen auf, etwa durch den Transport eines Ölfasses nach Saudi-Arabien oder eines Felsbrockens in den Himalaya. Dabei verfolgte sie einen "prozeßhaften und partizipatorischen Kunstbegriff, der zu- nehmend den emanzipatorischen Gebrauch der Medien umfaßte" (Medienkunstnetz). Allerdings traten die Gründer Mike Hentz, Karel Dudeseck und Chrislo Haas vornehm- lich in der deutschen Punkszene in Düsseldorf auf. Als viertes Mitglied war anfangs noch 'padeluun' (alias Rainer Schäffner) – ein deutscher Künstler und Netzaktivist, der für digitale Bürgerrechte eintritt – sporadisch mit dabei. Er war in der Düsseldorfer und Berliner New Wave- und Punk-Szene als Performancekünstler und als Super-8- Filmer aktiv. "Die Projekte der Anfangsphase führten in der Kunst, der Musik und in Theaterkreisen zu heftigen Reaktionen seitens des Publikums. Von den ersten Performances waren viele durch Gewalt oder Strom-Abdrehen verhindert worden, was damals viel zu unserem New Wave-Industrial Mythos beigetragen hatte" (Hentz). Hentz (Mike Andrew Hentz) wurde in New Jersey geboren und wuchs – als Sohn eines Kunstprofessors und einer Dolmet- scherin – in den USA, Italien, der Schweiz und in Österreich auf.

Er hat einen Schweizer und einen US-Paß, wurde am Mu- siktheater in Paris ausgebildet, reiste durch Europa, zog in den späten 70er Jahren nach Nordrhein-Westfalen und arbeitete als Aktionskünstler. Christian Ludwig 'Chrislo' Haas (ex-D.A.F., ex-Der Plan) prägte die deutsche Musikszene als Synthesi- zer-Spieler und Innovator und war einer der Ersten, der mit seinem Synthesizer Korg MS-20 auftrat und durch sein Wirken die deutsche Musikszene maßgeblich mitprägte. Der Prager Dudesek ging 1960 nach Wien, studierte bildende Kunst und Performances in Wien, Düsseldorf, New York und London. Fast zeitgleich zur Gründung von Minus Delta-t war er Redakteur des 'Überblick'-Kunstmagazines in Düsseldorf. |31 Die Gruppe war immer gut für provokante Aktionen, die fast immer ein aggressives Spannungsfeld zwischen ihnen und dem Publikum schafften. Bei einem ihrer ersten Auftritte im Düsseldorfer Szeneladen Ratinger Hof schütteten sie 1978 bei einer von ihnen mit "Putzaktion" plakatierten Veranstaltung Beton über den Boden, warfen mit Tierkadavern um sich und ließen danach für diesen Zweck gezüchtete Fliegen ausschwärmen. Außerdem verhinderten sie den Getränkeausschank, weil der für diesen Zweck engagierte Schlagzeuger Robert Görl (D.A.F.) mit seinem Schlagzeug mitten auf dem Tresen platziert wurde. Bei der Benefiz-Veranstaltung 'Geräusche für die 80er' am 29. Dezember 1979 in der Hamburger Markthalle – gemeinsam mit Abwärts, Rotzkotz, Tempo, Salinos, Razors, Liebesgier und Coroners und veranstaltet vom Verein "Freunde Der Neuen Musik Hamburg e.V." – beschallten sie das wartende Publikum mit den Live-Tönen des Polizeifunks aus der Lautsprecher- anlage.

Haas verließ 1980 die Gruppe und arbeitete bei D.A.F., Der Plan, Crime And The City Solution mit, gilt als einer der Grün- derväter des Techno, veröffentlichte Platten als 'Armed Response' und 'Chrislo' und war einer der Protagonisten im Doku-Roman 'Verschwende Deine Jugend' von Jürgen Tei- pel. Für Haas kamen Wolfgang Georgsdorf, Gerard Couty und Bernhard Müller zu Minus Delta-t. In einer spektakulären Aktion mit dem Titel 'Bangkok-Projekt' transportierten Minus Delta-t ab 1982 einen 5,5 Tonnen schweren Felsbrocken von Europa nach Asien. Die Reise ging durch Jugoslawien, Bulgarien, die Türkei, Syrien, den Libanon, den Iran, Paki- stan und über Nepal nach Indien und endete 1984 beim 'Bangkok Festival', das die Gruppe mitkonzipiert und -organisiert hatte. Da hatte sich die Gruppe quasi bereits auf- gelöst, noch bevor der Stein in den Ganges gekippt werden sollte, doch wurde auch noch Jahre später versucht, Minus Delta-t als mediamystische Identität zu erhalten. Dazu wurde das 'Bangkokprojekt' in 'das Projekt' umbenannt. Durch das spätere Heben des Steins aus dem Ganges, wurde "der Stein entwertet" (Hentz). Das Ganze dauerte zwei Jahre: die Versenkung eines Granit-Steines von Stonehenge über Land nach Indien, um ihn dann im Ganges zu versenken. Zwischendurch ließen sie den Brocken im Vatikan von dem sichtlich irritierten Wojtyla-Papst segnen.

Eine andere Aktion war 1985 die Einmauerung eines Tresors mit Computer in 4.500 Metern Höhe oberhalb eines Gletschers im Beasklund im Himalya, oder die Reise in GI-Uniform durch Polen, um den Todeszaun von Auschwitz unaufgefordert zu reparieren.

Burghard Rausch 

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Aus grauer Städte Mauern - Die Neue Deutsche Welle (NDW)

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